Die Heilkraft des Waldes, das sogenannte „Waldbaden“, wurde in den letzten Jahren vorwiegend in Japan wissenschaftlich erforscht und dort zur Vorsorge und Heilung von Krankheiten angewandt. Die medizinische Heilkraft besteht vorwiegend aus der Einatmung von Terpenen, Aromastoffen, die von den Bäumen abgesondert werden und unser Immunsystem stärken. Bei einem eintägigen Aufenthalt im Wald konnte nachgewiesen werden, dass sich die Bildung von natürlichen Killerzellen im Blut um bis zu 40 % und ihre Leistungsfähigkeit sogar um mehr als 50% steigerte und dieser Effekt bis zu zwei Wochen anhielt. Welche Therapie kann dies sonst, frage ich mich als Arzt! Das Stresshormon Adrenalin senkte sich um bis zu 50% und der Vagus Nerv, der für Ruhe und Regeneration verantwortlich ist, wird beim längeren Aufenthalt im Wald aktiviert. Es konnte in wissenschaftlichen Studien nachgewiesen werden, dass potentielle Krebszellen zerstört wurden und das „Herzschutz-Hormon“ DHEA vermehrt gebildet wurde. Atemprobleme und Lungenerkrankungen verringerten sich und die Bluthochdruck- und Zuckerwerte senkten sich. Die psychische Heilwirkung zeigte sich durch schnellen Stressabbau, Aufhellung der Stimmungslagen und Besserung von Schlaf- und Konzentrationsstörungen. Dazu trägt die Waldatmosphäre mit der guten Luft, die Ruhe in Verbindung mit der sanften Geräuschkulisse und die vielen verschiedenen Grüntöne bei, welche eine zutiefst beruhigende Wirkung auf die meisten Menschen ausüben. Waldluft ist somit – wissenschaftlich bewiesen – ein wundervolles Arzneimittel und das Natürlichste, das wir kennen.
Nach Umfragen fühlen sich mehr als die Hälfte aller Deutschen gestresst, mit steigender Tendenz. Dem Alltagsstress können wir oft nicht entgehen, dennoch ist es uns möglich, ihm durch „Baden“ im Wald mit all unseren Sinnen etwas entgegenzusetzen. Achtsames Waldbaden ist wie eine Meditation, in der wir den Geist nach Hause bringen, der sonst als „Affengeist“ rastlos von Ast zu Ast hüpft. Die Ruhe im Wald überträgt sich auf den „Badenden“, der die Gedanken abgeben und sich mit allen Sinnen im Hier und Jetzt wieder finden kann. Da verwundert es nicht, dass japanische Waldforscher belegen konnten, dass in waldreichen Gebieten deutlich weniger Menschen an Krebs sterben als in Regionen ohne Wald. In einer wissenschaftlichen Studie von Professor Ulrich konnte dieser bereits 1984 nachweisen, dass die Heilung nach Operationen deutlich beschleunigt wurde, wenn der Patient von seinem Krankenzimmer aus ins Grüne und auf Bäume schauen konnte. Sie benötigten weniger Schmerzmittel und es kam zu deutlich weniger Komplikationen. Diese Wirkung konnte selbst bei Zimmerpflanzen nachgewiesen werden. Selbst Naturfilme und Naturbilder waren für Kranke förderlich und linderten deren Schmerzen. Geriatrie-Patienten, die Gärten besuchen konnten, brauchten weniger Schmerzmittel und Antidepressiva.
Die heilsame Wirkung der Natur war mir schon in der Anfangszeit meiner Praxisgründung bekannt. Damals hörte ich von einem Kriegsberichterstatter, welcher durch die grausamen Bildeindrücke von Leid und Tod selber körperlich-seelisch krank wurde und sich half, indem er sich nur mehr auf Naturfotos von sehr heilsamen Kraftorten in der Natur spezialisierte und diese an psychosomatische Kliniken und Heilberufler verkaufte. Diese Fotos von Wäldern und Wasser hängte ich in unser Wartezimmer und die Therapieräume, und einige Patienten sprachen mich auf deren tatsächlich beruhigende Wirkung an.
Gerade jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe, erlebe ich diese heilsame und beruhigende Wirkung am eigenen Körper bzw. der eigenen Seele. Meine Frau und ich sind in der idyllischen Provence in Urlaub und wohnen in einer stilvoll restaurierten alten Mühle mit einem großen Park in einer sehr gemütlichen Ferienwohnung. Von unserem Essplatz auf der Terrasse schauen wir in einen schönen, vom Mühlbach umflossenen Garten mit großen, alten Bäumen. Anfangs war ich etwas enttäuscht, dass wir vor lauter Bäumen nicht auf die Landschaft sehen konnten. Circa 80% unseres Ausblicks war durch Gras, Büsche und das Frühlingsblattwerk der Bäume in grüne Farbentöne getaucht. Jetzt, im Urlaub, fand ich endlich die notwendige Zeit und Muße, längere Zeit in das frische, lindgrüne Laub eines Baumes zu schauen, welches im Kontrast zum hellblauen Himmel stand. Ich beobachtete die Bewegungen der Blätter und lauschte den dabei entstehenden Geräuschen durch den Mistralwind. So konnte ich selber bewusst diese beruhigende und stimmungsaufhellende Erfahrung machen, über welche ich gerade in diesem Kapitel theoretisch schreibe.
Wir beabsichtigen, mit unseren Seminarteilnehmern öfter in unsere heimischen Wälder zu gehen und den nahegelegenen landschaftstherapeutischen Park im Römerkessel von Bad Bertrich aufzusuchen, um diese Naturheilkräfte beim „Waldbaden“ zu erleben und Kraft zur Genesung aufzutanken.