Da wir in einer Zeit leben, in welcher der alltägliche Stress deutlich höher ist als in früheren Zeiten, wir unter höherem Zeit- und Leistungsdruck leben als unsere Vorfahren, ist auch unser Stresshormon-Spiegel meist sehr hoch und belastet auf Dauer unsere Gesundheit. In vorhergehenden Kapiteln habe ich auf die Folgen eines solchen Ungleichgewichtes zwischen Sympathikus (dem Nervensystem, welches uns zur Aktivität antreibt) und Parasympathikus (der Gegenspieler, welcher Ruhe und Erholung ermöglicht) hingewiesen. Während die asiatischen Kulturen uns meist bei der Anwendung von Entspannungstechniken voraus waren, haben wir Europäer erst in den letzten Jahrzehnten die Bedeutung solcher Übungen (Qi Gong, Tai Chi, Yoga und andere) erkannt und sie übernommen. Da wir im alltäglichen Leben oft wenig Zeit zum Erholen haben, wurden Techniken entwickelt, die in kurzer Zeit tiefe Entspannung und somit Erholung ermöglichen.
Ein deutscher Psychiater, J. H. Schulz, praktizierte im Ersten Weltkrieg die Selbstsuggestion bzw. Selbsthypnose und nannte es Autogenes Training (AT). Ein Skandinavier, Jacobsen, entwickelte die Tiefenmuskelentspannung, auch Progressive Muskelentspannung (PM) genannt. Ich selber erlernte während meiner Studienzeit, auf Grund von Prüfungsängsten, das Autogene Training und war so von der tief entspannenden und erholsamen Wirkung begeistert, dass ich schon als Student Seminare zum Erlernen dieser Methode anbot. Vielen meiner Kursteilnehmer half das AT, sich in kurzer Zeit zu erholen und somit belastbarer zu werden, Ängste abzubauen und besser und tiefer zu schlafen. Menschen, die innerlich und äußerlich so unruhig sind, dass ihnen die Konzentration schwer fällt, können sich leichter mit der Tiefenmuskelentspannung anfreunden und diese nutzen. Beim AT wiederholt der Übende Sätze, die den Zustand beschreiben, welche beim Üben eintreten. Zum Beispiel: „Mein rechter Arm ist ganz schwer“ oder „Mein rechter Arm ist ganz warm“. Bevor sich unser rechter Arm schwer anfühlt, müssen sich die entsprechenden Muskeln entspannen.
Alleine unsere Vorstellungskraft bewirkt körperliche Veränderungen. Wenn du bereit bist, jeden Tag mindestens 10 Minuten Autogenes Training zu üben, wird dein vegetatives Nervensystem in Richtung Stressabbau und Energieaufbau positiv beeinflusst. Du wirst belastbarer in Stresssituationen und für die Herausforderungen des Lebens und stärkst gleichzeitig dein Immunsystem. Tiefenmuskelentspannung funktioniert so, dass du Muskelgruppen stark isometrisch (ohne Bewegungen auszuführen) anspannst und sich diese Muskelgruppen durch ihre Erschöpfung anschließend umso tiefer entspannen. Der Vorteil dieser Entspannungstechnik ist es, dass du deine Muskulatur zusätzlich trainierst und somit stärkst. Gleichzeitig fällt es dir durch die Aktivität der Muskelanspannung meist leichter, dich von störenden Gedanken abzulenken und somit zur Ruhe zu kommen.
Am Anfang meiner Arzttätigkeit nahm ich mit meinem Freund, der Musik studiert hatte, eine Tonbandkassette auf, mit deren Hilfe bedürftige Patienten das Autogene Training lernen und vertiefen konnten. Unter anderem führte ich die Hörer in einer Fantasiereise auf eine Südseeinsel. Wir untermalten den Text mit entsprechenden Naturgeräuschen wie Wellenrauschen und Vogelgezwitscher. Diese Kassette war bei meinen Patienten sehr beliebt und half ihnen bei Schlafstörungen und bei Erkrankungen des vegetativen Nervensystems. Später entwickelte ich mit meinem Freund eine weitere CD, auf der ich Anleitungen zur Progressiven Muskelentspannung gab. Diese Aufzeichnungen bzw. CDs kannst du dir kostenlos auf meiner Internetseite hier herunterladen.
Bei unseren Seminaren werden wir jeden Tag eine Entspannungstechnik einüben und praktiziert. Von Vorteil ist, dass meine Frau eine Ausbildung als Entspannungspädagogin gemacht hat und selber sehr von diesen Entspannungsverfahren profitiert.